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Von Redaktionsbuero Ost.

Sind die Begriffe Ost- und West-Kunst noch salonfähig?...

das möchten wir gerne wissen von vier namhaften Persönlichkeiten, wie Anna Jermolaewa (Künstlerin), Hans Knoll (Publizist & Kurator), Juraj Èarný (Kurator) und Herwig Höller (Slawist, Kurator & Autor)...


- Anna Jermolaewa (Petersburger Künstlerin, lebt und arbeitet seit 1989 in Wien):

„Die Zeichensprache der Künstler ist inzwischen global, die Inhalte sind es hingegen nicht“

Ich glaube, dass die Kategorien Ost- und West-Kunst noch ihre Richtigkeit besitzen, weil die Künstler beider Seiten momentan auch jeweils andere Gesellschaftsaggregate repräsentieren und reflektieren. Das wird sich auch in den kommenden zehn Jahren nicht so schnell ändern. Die Einteilung einer Kunstausstellung in Länder und Nationen, wie sie die Biennale in Venedig vornimmt, halte ich hingegen für längst veraltet. Obwohl es durchaus sinnvoll sein kann – wenn Informationsbedarf besteht – eine Länderausstellung zu machen. Denn über die Kunstszenen im Osten besteht im Westen definitiv noch Informationsbedarf. Man darf auch den initiierenden Charakter solcher Events für die Szene im Osten nicht unterschätzen. Dadurch werden die Künstler in unser globales Kommunikationssystem hineingelassen.
Die Russlandausstellung „It’s a better world. Russian Actionism and its context“, die Joseph Backstein und Johanna Kandl 1997 in der Wiener Secession kuratierten, ist ein gutes Beispiel dafür: Sie war für viele russische Künstler von großer Bedeutung, da sie ein Sprungbrett in die Internationalität darstellte.
Vielleicht ist die Zeichensprache der Künstler inzwischen global, die Inhalte sind es hingegen nicht. Die Arbeitsbedingungen der russischen Künstler etwa sind ungleich härter als im Westen. Und das sieht man den Arbeiten freilich auch an. In Russland gibt es so gut wie keine Subventionen und nur einen sehr kleinen Kunstmarkt. Die Künstler stehen unter unglaublichem Existenzstress und auch deswegen werden die Diskussionen dort viel intensiver als bei uns geführt.
Vielleicht sollte auch einmal angemerkt werden, dass man in der Sowjetunion keineswegs so „aus der Welt“ war, wie dies immer im Westen vermittelt wird. 1957 fand das legendäre Jugendfestival in Moskau statt. Damals war nach einer langen Pause, über 30 Jahre nach der russischen Avantgarde, die – wohlgemerkt – eine internationale Bewegung war, zeitgenössische Kunst aus 52 Ländern zu sehen. 1959, zwei Jahre später, konnte man das erste Mal den amerikanischen Abstrakten Expressionismus eines Jackson Pollock oder Mark Rothko sehen, die unsere Kunstszene nachhaltig beeinflussten. Zwei wichtige Ausstellungen. Nicht nur westliche Kuratoren, auch die neue Künstlergeneration in Russland sollte ihre eigene Kunstgeschichte aufarbeiten, zu der im Übrigen auch schon das vergangene „Jahrzehnt des Umbruchs“ gehört, dem ich als Künstlerin, die beide Systeme erlebt hat, bereits angehöre.


- Hans Knoll (Vorsitzender des Österreichischen Galerienverbandes, Publizist, Kurator und Experte für osteuropäische Kunst, betreibt eine Galerie in Wien und seit 1989 in Budapest):

„Ein gewisser „Rassismus“ macht sich breit“

Nein, diese Begriffe sind nicht mehr salonfähig. Die Übersichtsausstellungen, die mit dem Label „Ostkunst“ arbeiten, müssen nun endlich aufhören, wir müssten doch inzwischen so weit sein. Die Situation verlangt, dass jetzt einzelne Künstler zum Zuge kommen, das heißt, dass ihr Werk als individuelle Position wahrgenommen wird.
Man tut mit diesen Länderschauen den Künstlern nichts Gutes, die auf diese Weise kaum eine Chance bekommen, auf dem internationalen Kunstmarkt selbstständig zu reüssieren. Solche Veranstaltungen funktionieren nach dem Schema Schwarz-Weiß und werden auch aus politischen Interessen heraus nach wie vor unterstützt. Ein gewisser „Rassismus“ macht sich da breit, der eigentlich aus dem Willen zu einer politischen Korrektheit entstanden ist, aber letztendlich das Gegenteil bewirkt hat. Ungarische Künstler etwa sind von jeher gerne ins Ausland eingeladen worden, auch schon vor 1989. In diesem Sinne sind die heutigen Gesamtschauen natürlich nichts Neues.
Was noch hinzukommt, ist, dass bei Events solcher Art kaum neue Inputs festzustellen sind, weil sich die (Co-)Kuratoren in den betroffenen Ländern immer wieder aus einem sehr kleinen Kreis rekrutieren, der sich in den vergangenen zehn Jahren im Grunde nicht beträchtlich vergrößert hat. Das gilt teilweise auch für die eingeladenen Künstler, wo dahin gehend hie und da natürlich „die Liste aufgefrischt“ wird.
Was ich persönlich festgestellt habe, ist, dass ausländische Kuratoren meist mit vorgefassten Meinungen und althergebrachten Begriffen in die einzelnen Länder kommen. Woraufhin jene dann das Werk einzelner Künstler „biegen“, bis es dort hineinpasst, wo man es hinhaben wollte. Im Zusammenhang mit der ungarischen Kunst wurde beispielsweise der Begriff der „Geometrie“ oft als signifikant ins Feld geführt. Solche Fehler entstehen aus einer Unkenntnis der Kunstgeschichten in den Ostländern einerseits, andererseits aber auch daraus, dass sich diese Länder selbst zu wenig mit ihrer kulturellen Vergangenheit beschäftigt, sie bisher kaum in der richtigen Weise aufgearbeitet haben, und wenn, dann damit international zu wenig Gehör finden. Auf diesem Gebiet gibt es noch sehr viel zu tun, damit starke individuelle künstlerische Positionen entstehen können. Anstatt selbstbewusst mit immer besser ausgearbeiteten Künstlerpositionen aufzutreten, begnügt man sich zu oft mit der Sicht von außen – und übt darüber hinaus zu Hause dramatisch wenig Kritik. Aus eigenen Interessen heraus dürfte man sich auf diese Länderausstellungen nicht mehr einlassen.


- Juraj Čarný (betreibt seit 1999 die Galerie Priestor für Zeitgenössische Kunst in Bratislava, als Kurator tätig für zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland):

„Das sind alles letztendlich weit dehnbare Definitionen“

Aus der Sicht eines Galeristen, der in Bratislava ansässig ist und demnach allein schon geographisch mit einem Fuß im Westen und mit dem anderen im Osten steht, ist diese Unterscheidung zwischen Ost- und West-Kunst nicht mehr gültig. Die slowakische Künstlerszene, denke ich, positioniert sich inzwischen international, alles andere würde auch keinen Sinn mehr ergeben und entspräche nicht der Realität. Dennoch fragen mich immer wieder westliche Kuratoren, die mich in Bratislava besuchen, nach guten slowakischen Künstlern und nicht einfach nach guten Künstlern. Es ist auch eine Tatsache, dass mancher slowakische Künstler derzeit oft mehr Möglichkeiten hat, auszustellen, als etwa ein österreichischer, weil das Label „Ost“ immer noch zieht.
Beim Kaufen verhält es sich dann schon etwas anders. Kaum ein Sammler riskiert, junge slowakische Kunst zu erstehen. Aber auch Kuratoren sind nicht viel mutiger. Wenige vertrauen auf eigene Entdeckungen. Lieber setzen sie auf Sicheres, das heißt Kunst, die am besten bereits im westlichen Ausland erprobt wurde.
Es ist auch sehr schade, dass immer nur nach jungen Künstlern gefragt und die ältere Generation meist vollends negiert wird. Positionen der sechziger oder siebziger Jahre sind überaus interessant, weil sie international orientiert waren. Auch fördern die öffentlichen Stellen nach wie vor immer noch lieber derartige Ost-West-Ausstellungsprojekte, um grenzüberschreitend zu wirken, leisten jedoch damit im Grunde der Ziehung neuer Grenzen Vorschub.
Ich war einer der Kuratoren der Ausstellung „The Last East European Show“ 2003 im Museum of Contemporary Art in Belgrad, die, wie der ironische Titel schon sagt, demonstrativ die letzte Schau dieser Art sein wollte. Damals stellte ich fest, dass Ost und West zwar als Kategorien nach wie vor bestehen, aber je nach Sichtweise und Standpunkt völlig anders definiert werden. Ich stellte dem serbischen Kuratorium meine Auswahl slowakischer Künstler vor, worauf man mir vorwarf, dass diese Positionen viel zu international orientiert seien und nicht das Slowakische repräsentieren würden. In diesem Sinne sind das alles doch letztendlich weit dehnbare Definitionen.

Kontakt:
Galéria Priestor
Somolickeho 1/B
SK – 811 05 Bratislava
Phone: +42 2 5441 8263/123
galeria@priestor.org>


- Herwig Höller (Kurator, freier Autor für die „Springerin“, „Spex“, „Camera Austria“ und Mitglied des Programmkreises Forum Stadtpark in Graz):

„Das Konzept ‚Osten‘ sollte als moralisch veraltet verabschiedet werden“

Es gibt ein passendes finnisches Wortspiel: „Weißt du was? Der Osten ist im Westen.“ Obwohl „Arvaas mitä? Lännessä on itä“, den Gesprächspartner vordergründig verwirren sollte, ist die Aussage – so man sie auf das Europa anno 2004 bezieht – nur vermeintlich paradox. 15 Jahre nach dem Ende der nicht wirklich realen Sozialismen sollte sich jenseits enger geographischer wie historischer Kontexte die Frage nach West- und Osteuropa in der altbekannten Form nicht mehr stellen. „Osteuropa“ scheint längst vor allem eine „westliche“ Projektion zu sein. Eine Projektion, mit der es sich allerdings auf dem internationalen Kunst- wie Theoriemarkt gut leben und reüssieren lässt, wie etwa das Beispiel Ilja Kabakov illustriert: Kabakov wird international als wichtigster lebender russischer Künstler gehandelt und mit ihm sein Prophet Boris Groys – von bekannten Kunstinstitutionen als großer Experte für osteuropäische Kunst hofiert. Beiden ist gemeinsam, dass sie nach fast zweieinhalb Jahrzehnten in der Emigration nur noch wenig mit der aktuellen Situation im Lande, im gegebenen Fall mit Russland, zu tun haben. Und da die durchaus dynamischen Kunstszenen in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sich immer weniger auf die mittlerweile historischen gemeinsamen Befindlichkeiten beziehen, sollte das Konzept dieses „Ostens“ als – wie man auf Russisch sagen würde – „moralisch veraltet“ verabschiedet werden.
Die „Ost-Schubladisierung“ muss aufhören. Wie? Durch genauere Beschreibungen dessen, was jeweils spezifisch passiert. Der besondere Charakter des so genannten „Ostens“ ist ja gerade, dass er ein außerordentlich heterogener ist.



erschienen im "Magazin für Kontakt d. Erste Bank Group", issue2